«Mein Ziel beim Bewerben ist, zu möglichst vielen Bewerbungsgesprächen eingeladen zu werden!» Diese Aussage würden viele Bewerbende sofort unterschreiben. Aber ist das ein sinnvolles Ziel? In dieser Absolutheit verneine ich es klar, wie folgendes Beispiel illustriert.
Eine Kundin rief mich an und erzählte mir verzweifelt, dass sie zum siebten Mal bei einer Bewerbung in die letzte Runde gekommen sei und dann die Stelle nicht erhalten habe. Sie ist eine hoch qualifizierte Bewerberin mit einer erfolgreichen Karriere. Ein Bewerbungsprozess auf ihrer Stufe ist aufwändig und umfasst mehrere Gesprächsrunden, Präsentationen, Fallstudien und zum Teil ganztätige Assessment Centers. Sie war zwei Jahre früher bei mir im Coaching und wir hatten ihre Bewerbungsunterlagen optimiert. Ich bat sie, mir eine der Bewerbungen zuzusenden.
Lebensläufe verwischen
Zu meinem Erstaunen konnte ich meine Inputs im Lebenslauf nicht erkennen. Auch konnte ich ihre Erfahrungen und Kenntnisse aufgrund des CVs nicht verstehen und ihren Werdegang nicht nachvollziehen. Ich äußerte meinen Verdacht, dass sie ihr Profil als weniger erfahren dargestellt und ihre umfassende Verantwortung in den verschiedenen Stellen kleingeschrieben habe. Sie bestätigte dies und wir fanden heraus, dass sie aus Angst, keine neue Stelle zu finden, sich als weniger qualifiziert dargestellt hatte, um für mehr Stellen in Frage zu kommen. Dies ist leider eine weit verbreitete Vorgehensweise.
Was passiert, wenn meine Kundin so vorgeht? Auch wenn der Lebenslauf nicht verständlich ist, erkennen Recruiter sofort, dass es sich um eine interessante Kandidatin handelt. Sie laden sie also zu einem Job-Interview ein in der Hoffnung, sie im Gespräch besser kennen zu lernen.
Stehen Sie zu sich – auch wenn Sie top sind
Aufgrund der Angst vor Stellenlosigkeit hat die Kandidatin ihre Strategie beibehalten und auch im Gespräch mit ihrer Erfahrung hinter dem Berg gehalten. Bei Top-Bewerbenden scheuen sich viele Recruiter, etwas fordernder nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Schliesslich wollen sie nicht als schwer von Begriff erscheinen. Auch möchten sie Bewerbende nicht verärgern. So kommen sie zum Schluss, dass die Kandidatin interessant sei, auch wenn sie immer noch nicht schlau aus ihr geworden sind. Daher laden sie die Kandidatin in weitere Gespräche ein. Und so geht es weiter bis zur letzten Runde. Und dann wird ihr eine andere Kandidatin vorgezogen, von der sich die Recruiter und Hiring Manager ein klares Bild machen konnten. Oder sie haben schliesslich doch herausgefunden, dass meine Kundin für die Stelle nicht optimal qualifiziert oder überqualifiziert war.
Daher mein Rat: Stellen Sie sicher, dass Sie schon früh im Prozess aussortiert werden, wenn Sie für eine Stelle nicht in Frage kommen. Dies erreichen Sie, wenn Sie sich im gesamten Bewerbungsprozess als die Person zeigen, die Sie sind. Damit ersparen Sie sich und dem Unternehmen Zeit. Und vor allem ersparen Sie sich selber viel Frustration.
Ein sinnvolles Ziel für Ihre Bewerbungen könnte also lauten: Ich will zu möglichst vielen Bewerbungsgesprächen eingeladen werden für Stellen, für die ich mich wirklich interessiere und für die ich auch in Frage komme.